Einsatz bei Nacht – ein Erfahrungsbericht
Ein Frühlingsabend im April am Ende eines schönen Tages. Ich freue mich auf meinen Feierabend und gehe noch eine Runde mit meinem Hund. Plötzlich klingelt mein Handy, auf dem Display die Nummer der Rettungsstelle. Das bedeutet: Einsatz! Die Polizei bittet um Unterstützung bei der Überbringung einer Todesnachricht. Schnell hole ich meine Tasche, atme tief durch und fahre los. Ich bereite mich gedanklich auf das Bevorstehende vor.
Ein junger Mann ist mit seinem Motorrad auf dem Weg von seiner Arbeitsstelle tödlich verunglückt. Zuhause warten die Eltern und machen sich vielleicht schon Sorgen oder sie hoffen, er sei noch schnell zu einem Kumpel gefahren und kommt gleich heim. Diesen wartenden Eltern soll ich nun ihre Hoffnung zerstören. Wieder atme ich tief durch.
Die Polizisten erwarten mich, wir machen uns bekannt und besprechen das Weitere. Beide sind jung und sehr betroffen. Neugierige Blicke der Nachbarn begleiten uns. Durch vorherige Einsätze ahne ich, was auf mich zukommt, doch das Ausmaß einer solchen Tragödie ist nur schwer nachzuvollziehen.
Wir klingeln und die Eltern öffnen die Tür. Sie ahnen wohl, dass etwas passiert sein musste, denn sie stehen eng beieinander, wie um sich gegenseitig zu stützen oder zu beschützen. Beschützen vor dem, was da wohl auf sie zukommt. Wir stellen uns vor. Behutsam erklären die Polizisten, dass es einen Unfall gegeben hat, ihr Sohn ist mit seinem Motorrad gegen einen Baum geprallt. Um Fassung ringend fragt die Frau, ob ihr Sohn im Krankenhaus liegt. Sie drückt meine Hand und sieht mich mit einem Hilfe suchenden und verzweifelten Blick an. Ich schüttele leicht den Kopf, der Vater versteht mich sofort und nimmt seine Frau in den Arm. Sie schluchzen beide, auch ich wische mir über die Augen, ich kann nicht gegen meine Tränen ankämpfen. Es ist keine Schande, meine Ergriffenheit und mein Mitgefühl zu zeigen.
Ich spreche lange mit den Eltern, über die Kindheit, die Jugend, Freunde und Freundinnen ihres Sohnes. Bei manchen Erinnerungen huscht ein Lächeln über die Gesichter der Eltern, schöne Erinnerungen. Dann wieder bricht der Schmerz über sie herein.
Die Schwester des Vaters trifft ein, der junge Mann ist ihr Patenkind und einziger Neffe. Sie ist gefasst und erklärt, den Eltern in der kommenden Zeit beizustehen und bei den organisatorischen Dingen behilflich zu sein. Ich übergebe ihr die Namen und Telefonnummern der Ansprechpartner. Ich spüre die Stärke und Einheit in der Familie, sie werden es schaffen. Meine Aufgabe ist erfüllt und ich kann mich verabschieden. Die Eltern danken mir unter Tränen, die Mutter drückt mich.
Leise verlasse ich das Haus mit dem Gedanken, dass sie gemeinsam durch die kommende schwere Zeit der Trauer gehen. Sie werden zusammenhalten und sich gegenseitig Kraft geben. Es regnet leicht, als ich zum Auto gehe. Ich genieße die leichte Kühle. Bei der Rettungsleitstelle und Polizei melde ich mich ab und erkläre, dass die Eltern am nächsten Tag kommen wollen. Ich empfinde auch den beruflichen Helfern eine Unterstützung zu sein.
Auf der Heimfahrt lausche ich leiser Musik, das Licht der Scheinwerfer spiegelte sich im nassen Asphalt. Ich spüre, wie die Anspannung von mir weicht. Dieser Einsatz hat viel Kraft gekostet, doch ich bin froh, geholfen zu haben. Dafür übernehme ich gern die Bereitschaftsdienste – Bereitschaft im Dienst für Menschen in Not.